Das E-Auto nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern als Stromquelle? Was vor wenigen Jahren noch nach Science-Fiction klang, wird durch bidirektionales Laden Realität. In Zeiten steigender Energiepreise, wachsender Nachfrage nach Stromspeichern und einer Energiewende, die auf dezentrale Lösungen setzt, ist das Konzept von V2G (Vehicle-to-Grid) und V2H (Vehicle-to-Home) aktueller denn je.
In diesem Beitrag erklären wir, was hinter dem Prinzip steckt, welche Vorteile sich für Verbraucher ergeben und welche Herausforderungen es (noch) gibt – praxisnah, verständlich und mit Blick auf den deutschen Markt.
Was bedeutet „bidirektionales Laden“?
Im klassischen Fall wird ein Elektrofahrzeug über eine Wallbox oder Ladesäule aufgeladen – Strom fließt also vom Netz ins Auto. Beim bidirektionalen Laden funktioniert das auch in umgekehrter Richtung: Das Auto kann Strom zurück ins Haus (V2H) oder ins öffentliche Stromnetz (V2G) speisen.
Die wichtigsten Begriffe im Überblick:
- V2G – Vehicle-to-Grid: Strom aus dem Fahrzeug wird ins öffentliche Netz eingespeist.
- V2H – Vehicle-to-Home: Das Fahrzeug versorgt das eigene Zuhause mit Strom.
- V2L – Vehicle-to-Load: Strom fließt direkt vom Auto in ein angeschlossenes Gerät (z. B. Kühlschrank, Kaffeemaschine oder Werkzeuge).
Das E-Auto wird damit zu einem mobilen Energiespeicher, der aktiv am Energiehaushalt teilnimmt – sei es zur Entlastung des Netzes, zur Eigenversorgung oder zur Stromkostenersparnis.
Warum ist V2G/V2H für Verbraucher interessant?
Gerade in Deutschland ist das Interesse am bidirektionalen Laden groß – aus guten Gründen:
1. Stromkosten sparen durch Eigenverbrauch
Hauseigentümer mit Photovoltaikanlage können den tagsüber erzeugten Strom ins E-Auto laden und ihn abends oder nachts wieder abrufen. Dadurch reduziert sich der Strombezug vom Energieversorger – und das lohnt sich besonders bei steigenden Strompreisen.
2. Unabhängigkeit vom Netz
Ein Fahrzeug mit V2H-Funktion kann im Notfall als Notstromversorgung einspringen. Bei Stromausfall läuft der Kühlschrank weiter – ein wichtiges Plus an Versorgungssicherheit.
3. Erlöse durch Netzeinspeisung (V2G)
Mit einem intelligenten Energiemanagementsystem kann überschüssiger Strom zum optimalen Zeitpunkt ins Netz eingespeist werden. In Zukunft könnten E-Autobesitzer damit Geld verdienen, indem sie zu Spitzenzeiten Strom verkaufen.
4. Klimaschutz aktiv mitgestalten
V2G trägt zur Stabilisierung der Netze bei, insbesondere wenn viele volatile Quellen wie Wind und Sonne ins Spiel kommen. Ihr Auto wird Teil der Energiewende – und das ganz automatisch.
Voraussetzungen für bidirektionales Laden
Noch ist bidirektionales Laden nicht flächendeckend verfügbar – aber die Technik entwickelt sich rasant. Hier die wichtigsten Voraussetzungen:
✅ Kompatibles Fahrzeug
Nicht jedes E-Auto kann bidirektional laden. Derzeit sind z. B. folgende Modelle in Europa oder Asien mit V2X-Funktionalität ausgestattet oder dafür vorbereitet:
- Hyundai Ioniq 5 / 6
- Kia EV6
- Nissan Leaf (V2G seit Jahren etabliert)
- Mitsubishi Outlander PHEV
- Renault Zoe (teilweise, per CHAdeMO)
- Ford F-150 Lightning (V2H in USA)
Zukünftige Modelle vieler Hersteller, z. B. von VW, BMW und Mercedes, sollen ebenfalls bidirektionales Laden unterstützen.
✅ Geeignete Wallbox mit V2G/V2H-Funktion
Hier ist vor allem der Standard CHAdeMO bei älteren Modellen verbreitet – in Europa setzt sich aber ISO 15118 (Combined Charging System – CCS) immer mehr durch. Einige Wallbox-Hersteller wie Wallbox Quasar 2 oder SMA arbeiten bereits an entsprechenden Lösungen für Europa.
✅ Energiemanagementsystem
Ohne intelligentes System zur Steuerung des Lade- und Entladevorgangs lässt sich das Potenzial nicht nutzen. Die Software entscheidet, wann das Fahrzeug lädt, entlädt oder pausiert – idealerweise abhängig von PV-Ertrag, Strompreis und Netzfrequenz. Lesen Sie auch unseren Beitrag zum wichtigen Thema EMS.
✅ Netzanschluss und Stromvertrag
Um Strom ins Netz einspeisen zu dürfen (V2G), muss der Netzbetreiber eingebunden sein – rechtlich und technisch. Aktuell ist das noch auf wenige Pilotprojekte beschränkt. In Zukunft dürften sich hier jedoch neue Geschäftsmodelle und Tarife entwickeln.
Wie sieht die Praxis in Deutschland aus?
In Deutschland gibt es bereits erste Projekte und Forschungsvorhaben, etwa:
- „Bidirektionales Laden“ von BMW, E.ON & Mobility House
– Pilotversuch mit BMW i3, in Verbindung mit Heim-Energieversorgung. - „iFlex“ von TransnetBW und Netze BW
– Test zur Netzstabilisierung mit flexiblen Ladevorgängen. - V2G-Projekte von Nissan mit Stromnetz Hamburg
– Nutzung von Nissan Leaf als Pufferspeicher für das Stromnetz.
Viele dieser Projekte zeigen: Die Technologie funktioniert – die Regulierung und Infrastruktur hinken jedoch noch etwas hinterher.
Herausforderungen: Warum ist V2G/V2H noch nicht Standard?
Trotz der großen Chancen gibt es auch Hürden:
- Rechtliche Unsicherheiten: Netzrückspeisung erfordert eine Einspeisegenehmigung – nicht alle Netzbetreiber sind darauf vorbereitet.
- Fehlende Normen und Standards: Unterschiedliche Ladeprotokolle, Steckertypen und Regelwerke verlangsamen die Verbreitung.
- Kosten für Hardware: V2G-fähige Wallboxen und Steuerungssysteme sind noch teurer als klassische Ladetechnik.
- Begrenzte Modellverfügbarkeit: Nur wenige Fahrzeuge sind bislang offiziell bidirektional nutzbar.
- Batterielebensdauer: Zwar sind moderne Akkus langlebig, doch häufige Ladezyklen (insbesondere mit Entladung ins Netz) könnten den Verschleiß erhöhen – oder auch nicht, je nach Batteriemanagement.
Blick in die Zukunft: Wann kommt der Durchbruch?
Experten sind sich einig: Das bidirektionale Laden wird ein zentraler Bestandteil des Energiesystems von morgen. Gründe dafür sind:
- Der wachsende Bestand an E-Fahrzeugen mit immer größeren Batterien.
- Die Notwendigkeit, erneuerbare Energien flexibel zu puffern.
- Die Integration ins Smart Grid, also ein intelligentes, vernetztes Stromsystem.
- Förderprogramme und EU-Richtlinien, die dezentrale Speicherlösungen begünstigen.
Bereits 2030 könnten Millionen von E-Autos in Deutschland als Speicher fungieren – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Fazit: V2G & V2H – mehr als nur ein Trend
Bidirektionales Laden macht das Elektroauto zum aktiven Teil des Energiesystems. Es ist Stromspeicher, Notstromversorgung und Einnahmequelle in einem – und bietet Verbrauchern die Möglichkeit, aktiv zur Energiewende beizutragen.
Wer heute in ein kompatibles Fahrzeug und zukunftsfähige Ladeinfrastruktur investiert, ist gut vorbereitet auf die Energieversorgung von morgen. Noch ist nicht alles marktreif – aber der Wandel hat begonnen.
Tipp für Verbraucher: Achten Sie beim nächsten Fahrzeugkauf auf V2X-Kompatibilität – und behalten Sie Entwicklungen bei Wallboxen und Energiemanagementsystemen im Blick.
Dr. Jens Bölscher ist studierter Betriebswirt mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Er promovierte im Jahr 2000 zum Thema Electronic Commerce in der Versicherungswirtschaft und hat zahlreiche Bücher und Fachbeiträge veröffentlicht. Er war langjährig in verschiedenen Positionen tätig, zuletzt 14 Jahre als Geschäftsführer. Seine besonderen Interessen sind Innovationen im IT Bereich.