Die Erzählung der Tech-Geschichte ist lange Zeit vor allem über Patente, Produkte und prominente (meist männliche) Namen transportiert worden. Dabei fehlt Wesentliches: Der Beitrag von Frauen, ohne den zentrale Meilensteine schlicht nicht erklärbar sind. Von Ada Lovelace über Grace Hopper bis Radia Perlman reicht ein roter Faden aus Ideen, Code und Mut, der unsere digitale Welt geprägt hat. Dieser Überblick stellt prägende Persönlichkeiten vor, ordnet ihre Leistungen historisch ein und leitet konkrete Diversity-Learnings für Unternehmen ab – damit „Frauen in der Tech“ nicht ein Kapitel bleibt, sondern zum Selbstverständnis wird.
Ada Lovelace: Vordenkerin des Programmierens
Ada Lovelace (1815–1852) gilt als die erste Programmiererin der Geschichte. In ihren Notizen zum „Analytical Engine“ von Charles Babbage beschrieb sie nicht nur eine mechanische Rechenmaschine, sondern entwickelte – visionär für ihre Zeit – die Idee, dass Maschinen allgemeine Muster verarbeiten können: Zahlen, Musik, Bilder. Besonders berühmt ist ihr „Programm“ zur Berechnung von Bernoulli-Zahlen. Noch bemerkenswerter: Sie dachte über reine Arithmetik hinaus und erkannte das kreative Potenzial algorithmischer Systeme – eine Vorahnung moderner Informatik und KI.
Grace Hopper: Vom Compiler zur Software-Ära
Grace Hopper (1906–1992) war Offizierin der US Navy und Computerpionierin. Sie trieb die Idee voran, Computer mit einer höheren Programmiersprache statt in Maschinencode zu steuern – der Grundstein für den Compiler. Ihr Einfluss auf COBOL, Standardisierung und Softwarequalität leitete den Übergang von „Rechenmaschinen“ zu flexiblen Informationssystemen ein. Hoppers Vermächtnis ist Pragmatismus: Technologie muss die Anwendung erleichtern, damit mehr Menschen sie produktiv einsetzen können.
Hedy Lamarr: Frequenzsprung als Sicherheitsprinzip
Hedy Lamarr (1914–2000), bekannter Filmstar und Erfinderin, entwickelte während des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit George Antheil ein Frequenzsprungverfahren, um Funkverbindungen gegen Störungen abzusichern. Das Prinzip inspirierte spätere Funkstandards; moderne drahtlose Kommunikation (WLAN/Bluetooth) nutzt verwandte Konzepte der Spektrumsspreizung. Lamarrs Geschichte zeigt: Interdisziplinarität und Querdenken sind Innovationsmotoren.
Katherine Johnson & die Rechenexpertinnen der Raumfahrt
Katherine Johnson (1918–2020) berechnete Flugbahnen für NASA-Missionen und validierte kritische Trajektorien in der Frühphase der bemannten Raumfahrt. Zusammen mit Kolleginnen wie Mary Jackson und Dorothy Vaughan verkörperte sie exzellente angewandte Mathematik – unter erschwerten Bedingungen von Rassentrennung und Geschlechterrollen. Ihre Arbeit steht für wissenschaftliche Sorgfalt als Sicherheitsfaktor: Wenn Software zuverlässig sein soll, braucht sie belastbare mathematische Fundamente und diverse Teams, die blinde Flecken verringern.
Radia Perlman: Spanning Tree und das Rückgrat des Netzwerks
Radia Perlman (*1951) entwickelte das Spanning Tree Protocol (STP), das Ethernet-Netze beherrschbar machte und Schleifen verhinderte – eine Grundlage stabiler, skalierbarer Netzwerke. Später trug sie zu IS-IS und weiteren Routing-Themen bei. Perlmans Werk belegt: Netzwerktechnik ist mehr als Hardware – es sind die Algorithmen, die Skalierung, Resilienz und Interoperabilität ermöglichen.
Margaret Hamilton: „Software Engineering“ als Disziplin
Margaret Hamilton (*1936) leitete das Softwareteam der Apollo-Missionen und prägte den Begriff Software Engineering. Ihre Fehlerbehandlung und Priorisierung im Onboard-Computer trugen dazu bei, dass die Mondlandung trotz unerwarteter Alarme gelang. Hamiltons Arbeit zeigt, wie wichtig Prozess, Tests und Robustheit in Sicherheits- und Echtzeitsystemen sind – Prinzipien, die heute in Luftfahrt, Automotive und MedTech Standard sind.
Annie Easley, Karen Spärck Jones & Mary Allen Wilkes: Breite der Beiträge
- Annie Easley (1933–2011): Pionierin für numerische Methoden bei der NASA; trug zu Energie- und Raketenforschung bei und engagierte sich für Bildungsgerechtigkeit.
- Karen Spärck Jones (1935–2007): Wegbereiterin der Informationsretrieval-Forschung; prägte das Konzept der Inverse Document Frequency (IDF) – ein Fundament moderner Suchmaschinen.
- Mary Allen Wilkes (*1937): Entwicklerin am LINC, einem der ersten Minicomputer; arbeitete zuhause – ein früher Vorläufer von „Home Computing“ und Remote Work.
Warum diese Geschichten heute zählen
Es geht nicht um Rückschau-Romantik, sondern um Innovationsfähigkeit. Studien zeigen: Diverse Teams identifizieren Risiken früher, finden mehr Lösungsalternativen und liefern Produkte, die breiter akzeptiert werden. Die historischen Beispiele belegen: Vielfalt erweitert den Möglichkeitsraum – von Sprachen (COBOL) über Netze (STP) bis leistungsfähige, sichere Software (Apollo).
Diversity-Learnings für Unternehmen (2025)
- Rekrutierung neu denken: Skill-basierte Auswahl statt homogener Lebensläufe. Partnerschaften mit Women-in-Tech-Communities und Hochschulen.
- Karrierepfade transparent machen: Mentoring, Sponsoring und klare Beförderungskriterien reduzieren Bias.
- Produktteams divers besetzen: UX, Sicherheit und Datenqualität profitieren direkt von unterschiedlichen Perspektiven.
- Vorbildkultur leben: Sichtbare Role Models (intern/extern) erhöhen Bindung und Bewerberpipeline.
- Messbar machen: KPIs zu Diversität, Retention und Pay Gap regelmäßig veröffentlichen.
Zeitleiste: Frauen, die Tech prägten
Jahr/Ära | Person | Beitrag |
---|---|---|
1843 | Ada Lovelace | Erstes Programm-Konzept (Bernoulli-Zahlen) & Vision universeller Maschinen |
1950er–60er | Grace Hopper | Compiler-Idee, Einfluss auf COBOL und Software-Standards |
1940er | Hedy Lamarr | Frequenzsprung – Grundlage sicherer Funkverfahren |
1960er | Katherine Johnson | NASA-Trajektorien & Validierung bemannter Raumflüge |
1980er | Radia Perlman | Spanning Tree Protocol – stabile Ethernet-Netze |
1960er–70er | Margaret Hamilton | „Software Engineering“, Apollo-Onboard-Software |
1960er–2000er | K. Spärck Jones | IDF – Fundament moderner Suche & NLP |
Fazit: Vergangenheit als Sprungbrett
Die Geschichten von Lovelace, Hopper, Lamarr, Johnson, Perlman, Hamilton und vielen anderen sind mehr als historische Randnotizen. Sie sind Belege, dass Exzellenz überall entsteht – wenn man ihr Raum gibt. Wer 2025 innovative Tech-Produkte bauen will, sollte diese Lehre ernst nehmen: Diversität ist kein „Nice-to-have“, sondern ein Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die Vielfalt leben, bauen bessere Software, sicherere Netze und nachhaltigere Produkte – ganz im Sinne der Pionierinnen, die uns den Weg bereitet haben.
Dr. Jens Bölscher ist studierter Betriebswirt mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik. Er promovierte im Jahr 2000 zum Thema Electronic Commerce in der Versicherungswirtschaft und hat zahlreiche Bücher und Fachbeiträge veröffentlicht. Er war langjährig in verschiedenen Positionen tätig, zuletzt 14 Jahre als Geschäftsführer. Seine besonderen Interessen sind Innovationen im IT Bereich.